Was wir Halloween nennen, kannten unsere Großeltern nicht. Noch heute glauben viele, es sei ein aus Amerika stammendes säkularisiertes, kommerzialisiertes Gruselfest, etwas Neuzeitliches, gut zur globalisierten Massenkultur passend.
Bei genauerem Hinsehen, jedoch, erkennt man, dass man es mit der Neuauflage eines uralten, vorchristlichen Jahreszeitfestes zu tun hat, einem Fest des Winterbeginns und des Totengedenkens, welches die Kelten Samhain oder Samon nannten.
„Bin überall willkommen, weil ich die Menschen lasse, wie sie sind, niemanden etwas nehme, sondern nur empfange und gebe.“ (Goethe)
Halloween und Samhain
Samhain bedeutet „Ende des Sommers“, Ende der lichthaften Zeit, Ende des Jahres. Das Fest, das einst im November-Vollmond gefeiert wurde, ist eine Übergangszeit, eine magische Zwischenzeit, in der sich die Grenze zwischen der Menschenwelt und die Anderswelt verwischt.
Nun kommen die Verstorbenen, aber auch die Feen und Gespenster aus der Anderswelt; sie verlassen ihre Wohnsitze (irisch sidhe) ihre Grabhügel – oft sind es megalithische Hünengräber – und wandern im grauen Novembernebel umher.
Diese Totengeister sind hungrig, rütteln an den Türen und Fensterläden, man hört sie knarren in den kahlen Ästen oder im gruseligen Schrei eines Vogels oder Wildtieres. Im Altenglischen nannte man das Fest Halloween, ein Wort das „Heiliger Abend“ (halig = heilig; aefen = Abend) bedeutet.
Es ist der Anfang der dunklen Zeit, aus der dann das Licht des neuen Jahres geboren wird.
Ab Samhain sammelten die keltischen Kräuterkundigen keine Heilpflanzen mehr. Die Kräuter waren nun pukka (tabu), sie gehörten nun den Geistern, den Pucken. Noch immer gilt in Irland, nach Samhain keine wilden Früchte zu essen – außer Schlehen. Es ist die Zeit der düsteren Göttin Morrígan, deren Baum die giftige Eibe ist; nun hält der mit Stechpalmenblättern gekrönte Wintergott Einzug in sein frostiges Reich.
In den keltischen Ländern war es Brauch, den Verstorbenen eine Schüssel mit Hanfsamen- oder Hirsebrei vorzusetzen. Jugendliche verkleideten sich als Gespenster und Andersweltliche, und gaben diesen Geistern damit eine sichtbare Erscheinung. Sie klopften an die Türen und sagten den Spruch auf „Trick or Treat“ (Schabernack oder eine milde Gabe!“, „Süßes oder Saures“).
Geizige, mitleidlose Haushalter, die die Bitte der Geister abweisen, bestrafen sie mit Unglück und Unfällen. Diejenigen, jedoch, die sich ihrer erbarmen, indem sie Äpfel, Haselnüsse oder süßes Gebäck spenden, erfahren den Segen der Verstorbenen, der grateful dead.
Auch zündet man ihnen ein Lichtlein: Früher war es eine ausgehöhlte Kohlrübe, in der eine Fratze geschnitzt wurde; heute, beim Halloweenfest, einen großen Kürbis, in dem eine Kerze brennt.
Keltisches Totenfest
Das heidnische Totenfest im Spätherbst wurde – wie so vieles andere – im Zuge der Christianisierung von der Kirche als Allerheiligenfest übernommen und im Kalender auf den Übergang vom 31. Oktober zum 1. November offiziell festgelegt.
Auch das Allerseelenfest (2. November) gehört dazu; es wurde erstmals im Jahr 998 n.u.Z. in allen Benediktinerklöstern angeordnet. Die Seelen können – so glauben es die Katholiken – beim Mittagsläuten zu Allerheiligen das Fegefeuer verlassen und ihre alten Wohnungen wieder aufsuchen; am nächsten Tag müssen sie wieder zurück. Um das Leiden dieser armen Seelen zu lindern, wird Weihwasser auf die Gräber gesprengt, Kerzen angezündet und Speisen daraufgestellt.
Viele Elemente des alten keltischen Totenfestes – Laternenzüge, Heischgänge verkleideter Kinder, usw. – wurden im Laufe der Zeit anderswo in Europa auf den Martinstag (11.11.) übertragen.
Wir sehen also, dass es sich bei Samhain oder Halloween um ein uraltes indigen-europäisches Fest handelt, es hat sich lediglich verwandelt und dem Geist der postmodernen Gesellschaft, die ihre metaphysischen Wurzeln nicht mehr kennt, angepasst.
Quelle: Wolf-Dieter Storl
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Kultur
Jahreskreisfeste
Wolf-Dieter Storl
Prosa
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Was für ein schönes Zitat von Goethe 🙂
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Ja, das finde ich auch. Ich picke jetzt den Aspekt heraus, sich so angenommen zu fühlen wie man ist. Das ist die Grundlage für alle Transformationsprozesse und persönliches Wachstum und in seine Kraft zu kommen. Herzlicher Gruß, Elli
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Ja, das ist ein wunderbarer Aspekt, aber auch die Haltung nicht zu nehmen sondern zu empfangen hat mich sehr angesprochen! Viele Grüße Christiane
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